Hoyerswerda 1991: Bundestagsdebatte. Heute: Dr. Burkhard Hirsch (FDP)

Dr. Burkhard Hirsch (FDP), Kämpfer für Mernschen und Brügerrechte. Fotoquelle: Webarchiv Deutscher Bundestag

Dr. Burkhard Hirsch (FDP), Kämpfer für Mernschen und Brügerrechte. Fotoquelle: Webarchiv Deutscher Bundestag

Im September 1991 erlangte unsere Heimatstadt Hoyerswerda traurige Berühmtheit. Nachdem über mehrere Tage hinweg gewalttätige Auseinandersetzungen vor dem Vertragsarbeiterwohnheim und dem Asylbewerberheim wüteten, präsentierten sich hunderte Hoyerswerdaer als begeistertes Klatschvieh und lieferten die passende Untermalung für die nach Sensationen gierende Presse.

Das Bild der Stadt ist seitdem für immer geprägt von den Bildern einer dumpfen Masse, die applaudiert, wenn ein Stein die Fensterscheibe getroffen hatte.

Natürlich war das auch das bestimmende Thema im Deutschen Bundestag. Nur zwei Tage, nachdem die Asylbewerber vor laufenden Kameras und der geifernde Meute, die direkt vor dem Asylbewerberheim wartete, abtransportiert wurden, gab es eine sogenannte aktuelle Stunde. Wir wollen in den kommenden Tagen einige Reden beispielhaft aus dem Archiv kramen, damit man sich noch einmal ein Bild von den Reaktionen im Parlament machen kann.

Nachdem wir zum Auftakt den Bundestagsabgeordneten Ulrich Klinkert (CDU) im Angebot hatten und zuletzt den Cottbuser SPD-Abgeordneten Dr. Dietmar Matterne, bieten wir heute die Rede des anerkannten FDP-Politikers Dr. Burkhard Hirsch an. Hirsch gilt als ein engagierter Kämpfer für Menschen- und Bürgerrechte. Es handelt sich hierbei um das Protokoll der Stenographen, die auch die Zwischenrufe soweit möglich mit notiert haben.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn man diese Debatte hört,
hat man den Eindruck, daß der Vorschlag unserer früheren Kollegin Frau Vollmer, wir sollten doch einmal nach Hoyerswerda fahren und uns den Leuten vor Ort stellen, um uns zu überzeugen, was dort eigentlich passiert ist, gar nicht so schlecht ist.

(Beifall bei der FDP, der SPD und dem Bündnis 90/GRÜNE sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Jedenfalls sollte die Debatte nicht zu dem Ergebnis führen, daß wir uns gegenseitig vorwerfen, die eigentlichen Schuldigen an den Pogromen zu sein.

Herr Kollege Klinkert, wofür auch immer die Pogrome in Anspruch genommen werden und womit sie entschuldigt werden: Wir wollen jedenfalls unsere Bereitschaft, politisch Verfolgte aufzunehmen, nicht zur Beute von Gewalttätern werden lassen.

(Beifall bei der FDP, der SPD, der PDS/Linke Liste und dem Bündnis 90/GRÜNE sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Gewalt ist durch nichts zu rechtfertigen. Sie löst keine politischen Probleme. Gewalt gegen Minderheiten und — wie hier — gegen Ausländer ist ein Rückfall in die Barbarei. Die Massivität dieser Pogrome, die Vielzahl der  Sympathisanten in der sogenannten normalen Bevölkerung, die offenkundige Unfähigkeit der örtlichen Verwaltung mögen einzigartig sein. Aber man muß es offen und schonungslos sagen: Ausländerfeindlichkeit gibt es nicht nur in Hoyerswerda, sondern auch in anderen Teilen der Bundesrepublik.

(Beifall des Abg. Peter Conradi [SPD])

Es handelt sich dabei um kleine radikale Minderheiten, aber sie existieren. Das ist nicht nur eine innerdeutsche Angelegenheit, sondern führt in zunehmendem Maße zu Fragen in Israel, bei unseren Nachbarn und bei den Ländern, aus denen die Ausländer gekommen sind. Diese Fragen sind berechtigt.

Ich frage mich, ob die Täter und ihre Sympathisanten nun annehmen können, Erfolg zu haben. Ausländer raus aus Hoyerswerda — das ist nun vollzogen worden. Die Entscheidung der sächsischen Landesregierung, die dort lebenden Ausländer anders zu verteilen, kann ja wohl nicht alles sein, womit der Staat auf diese Brutalität reagiert. Das geht so nicht.

Wie ist der Stand der Verfahren? Wann werden sich die Täter vor Gericht wiederfinden? Bleibt Hoyerswerda nun ein ausländerfreier oder ein rechtsfreier Raum, wie es einmal hieß?

(Beifall bei der FDP, der SPD und dem Bündnis 90/GRÜNE)

Was wird mit dem selbstzufriedenden Landrat? Soll sich dieses beschämende Schauspiel wiederholen, weil es ja mit Erfolg aufgeführt wurde?

Der sächsische Justizminister Heitmann hat über die Ursachen der Pogrome kluge Worte gesagt: eine miese Ausländerpolitik, die zur Isolierung geführt hat, die fehlende Gewöhnung der dortigen Bevölkerung, mit Ausländern umzugehen, und die besonderen sozialen Verhältnisse. Das sind Erklärungen, das ist aber nicht die Antwort auf die Frage, was geschehen soll. Pogrome beginnen im Kopf.

(Beifall bei der FDP, der SPD und dem Bündnis 90/GRÜNE)

Ich erinnere Sie an die noch vor einem Jahr bis zur Hektik gesteigerte Ausländerdiskussion in der Bundesrepublik,
an die miesen Türkenwitze, an die sich ereifernde Diskussion darüber, ob Deutschland ein Einwanderungsland sei, an das unglaubliche Wort von einer durchrassten Gesellschaft.

(Beifall bei der FDP, der SPD, der PDS/Linke Liste und dem Bündnis 90/GRÜNE)

Ich erinnere Sie an die tatsächlich erfolgreichen Prozesse, ob man eine Ausländerunterkunft in einem Wohngebiet dulden müsse.

Man muß auch daran erinnern, daß das Wort „Asylant“ erst Ende der 70er Jahre in Deutschland auftauchte, und zwar als ein politischer Kampfbegriff, mit dem man Asylanten aus der Türkei und aus Pakistan unterscheiden wollte von Flüchtlingen aus Osteuropa, die man natürlich als Flüchtlinge bezeichnete.

Die Ausdrücke „Asylantenflut“, „Asylantenströme“, „Dämme gegen Asylanten“ , „Springflut“, „Zeitbombe“ sind sprachliche Bilder, in denen eine Entfremdung gegenüber Flüchtlingen, ihre Entmenschlichung nicht nur zum Ausdruck kommt, sondern mit denen diese auch geschaffen wird.

(Beifall bei der FDP, der SPD, der PDS/Linke Liste und dem Bündnis 90/GRÜNE)

Das verfälschende Wort „Wirtschaftsflüchtlinge“ gehört in diese Reihe.

(Beifall bei der SPD)

Wir wissen, daß die Ursache solcher Stimmungen nicht nur Egoismen, Bequemlichkeit und die Lust sind, Sündenböcke zu suchen. Ihre Ursachen sind ungelöste politische Probleme. Ursache ist auch, daß gerade sozial Schwache in den Fremden zuerst einen Wettbewerber um Wohn- und Arbeitsplatz, um die Zukunft sehen. Die Politik macht sich natürlich mitschuldig, wenn sie Probleme liegenläßt; aber auch dann, wenn sie versucht, sich diese Angst zunutze zu machen, um eine politische Auseinandersetzung auf dem Rücken von Minderheiten auszutragen,

(Beifall bei Abgeordneten der FDP und bei der SPD)

auch dann, wenn sie den Menschen einfache Lösungen vorgaukelt, die es nicht geben kann,

(Beifall bei Abgeordneten der FDP und bei der SPD)

wenn sie den Glauben bestärkt, unsere ausländischen Mitbürger wären eine Belastung, während sie uns helfen,
wenn sie die Illusion bestärkt, wir bekämen eine stabilere Welt, wenn wir unsere Türen vor dem Elend verschließen.

(Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/GRÜNE)

Wenn wir diesen Menschen, die bei uns bessere Lebenschancen suchen, diese bei uns nicht bieten können, dann wird uns niemand davor schützen, daß wir diesen Menschen in ihrer Heimat Lebenschancen verschaffen oder uns selbst in einer Festung einmauern müssen. Jeder Politiker ist schuld an den Pogromen von Hoyerswerda und anderswo, der nicht den Mut hat, seinen Mitbürgern diese schlichte Wahrheit zu verkünden, bis sie sie verstanden haben.

(Beifall bei der FDP, der SPD, der PDS/Linke Liste und dem Bündnis 90/GRÜNE)

FAZIT: Starke Worte, die auch heute noch uneingeschränkt ihre Gültigkeit besitzen. Diese Rede könnte so heute noch einmal im Deutschen Bundestag gehalten werden und niemand würde die Aktualität anders sehen. Ein starker Politiker, der der FDP viel Profil gegeben hatte, das ihr nun schon seit so vielen Jahren fehlt!

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