Die Geschichte einer Zeitungsgeschichte: Rentner als Rad-Rambo!

Die Geschichte einer Zeitungsgeschichte: Rentner als Rad-Rambo
Die Geschichte einer Zeitungsgeschichte: Rentner als Rad-Rambo

Wow, was für eine geile Story! Das mögen sich die Zeitungsmacher landauf, landab gedacht haben, als sie gestern über den Ticker der Deutschen Presseagentur DPA eine Meldung aus Hoyerswerda bekommen haben. Eigentlich eine belanglose Meldung, die aber allein aufgrund der Tatsache, dass sich Redakteure so etwas richtig witzig vorstellen können, an Fahrt gewinnen kann…

Online-Zeitungen wie zum Beispiel BILD-Online bringen etwas ganz tolles mit sich: Den Nachrichtenticker. Da werden ausgewählte Meldungen der Presseagenturen unkommentiert und meist auch ungeändert veröffentlicht. So auch die Meldung aus Hoyerswerda:

Radelnde Seniorin begeht Fahrerflucht

Mittwoch, 30. März 2011, 13:36 Uhr

Hoyerswerda (dpa/sn) – Eine radelnde Seniorin hat in Hoyerswerda nach einem Unfall das Weite gesucht. Deshalb wird nun wegen Fahrerflucht gegen die Frau ermittelt, wie die Polizei am Mittwoch mitteilte. Die 72-Jährige war am Dienstagmorgen über den Markt geradelt, gegen ein Auto geprallt und gestürzt. Trotz Schrammen setzte die rüstige Dame ihre Fahrt fort und kümmerte sich auch nicht um den Unfallschaden, hieß es. Der summierte sich auf 1000 Euro. Die Polizei konnte die Frau inzwischen ausfindig machen.

Na das klingt ja schon einmal schmissig. Eine 72-jährige Seniorin radelt vollkommen unschuldig, nichts Böses ahnend über den Marktplatz in der Hoyerswerdaer Altstadt. Plötzlich prallt sie gegen ein Auto, fällt hin. Sie schüttelt sich, steht wieder auf uns fährt weiter. Fahrerflucht!

Das klingt fast wie eine Szene aus einem Action-Film und lässt so auch Raum für eigene Gedanken. Die Mitteldeutsche Zeitung fand die Story auch spannend und konstruierte gleich mal eine generelle Ableitung daraus. Schon die Einleitung ist vielversprechend:

Ältere Damen sind gütig, sie stricken Schals und Mützen für ihre Enkelkinder, lutschen Halspastillen und riechen nach Lavendel. So dachten wir früher. Später lernten wir, dass die klassische Oma zu den bedrohten Arten gehört. Statt grauem Dutt trägt die Seniorin nun Kurzhaarfrisur, hat einen prallen Terminkalender, lernt Sprachen und daddelt am Computer, was das Zeug hält.

Hier räumt also jemand mit althergebrachten Denkweisen auf. Omis können eben durchaus auch modern sein. Frauen von Heute. Mit Kurzhaarfrisur! Und Sprachen lernen wollen die auch! Und an den Computer gehen die rüstigen Rentner auch noch. Aber die Alliteration auf R wird noch viel besser:

Da ist es nur folgerichtig, dass der Siegeszug der Emanzipation nicht vor Verkehrsdelikten haltmachen kann. Eine 72-Jährige aus der Lausitz hat jetzt gezeigt, wie es geht. Sie radelte über den Markt von Hoyerswerda, prallte gegen ein Auto, kam zu Fall, rappelte sich flugs auf und setzte ihre Fahrt ungerührt fort. Zurück blieben verdutzte Bürger sowie ein Schaden in Höhe von 1 000 Euro.

Denn nun wird aus vormals klischeehaft ranzigen Rentnern eine rüstige, radelnde Rambo-Rentnerin (viermal R)! Die älteren Damen von heute haben sich also emanzipiert. Sie dürfen in ihrem „Siegeszug“ nun auch mal Verkehrsdelikte begehen.

Natürlich sind wir froh, dass der guten Frau nichts zugestoßen ist. Aber so einfach kommt sie doch nicht davon: Fahrerflucht heißt das Delikt, das auf ihrem Gewissen lastet. Hinzu kommen die Kosten. Bleibt nur zu hoffen, dass die forsche Fahrerin ordentlich versichert ist. Wie dem auch sei, die Polizei von Hoyerswerda hat den Fall binnen eines Tages aufgeklärt und die Täterin gestellt. Alle anderen Fragen müssen wir uns selber beantworten:

Und noch schnell die Kurve bekommen. Die ältere Dame hat jetzt ein Delikt begangen. Eines, das nun auf ihrem Gewissen lastet! Aber natürlich kann man anhand dieses Einzelfalls auch wunderbar die Kurve zur demographischen Entwicklung bekommen. Der Artikel endet eigentlich nur mit der Festsstellung, dass man sich ab sofort darauf einstellen müsse, dass mehr Delikte von Senioren begangen würden. Aber halt! Eine Rettung gibt es da noch:

Es sei denn, die Omas besinnen sich auf ihre Kerntugenden: Hütchen, Dutt und Lavendel.

So etwas kann man also aus der einfachen Geschichte machen. Dabei hatte die Polizeidirektion Oberlausitz-Niederschlesien in Person des Pressesprechers Marcel Wita ja keine große Sache draus gemacht. Und liest man den offiziellen Polizeibericht, dann sind solche slapstickartigen ins Blaue geschossenen Berichte wie der der MZ eigentlich nicht drin:

Radfahrerin stürzt und fährt weiter

Hoyerswerda, Markt
29.03.2011, gegen 09:20 Uhr

Eine 72 Jahre alte Radlerin fuhr über den für Fahrzeuge abgesperrten Bereich des Marktes. Als sie wieder auf die Straße fuhr, prallte die Seniorin gegen einen Pkw (Fahrer 69), der aus Richtung Rathaus kam. Schaden: rund 1.000,- €. Trotz Schrammen setzte die rüstige Rentnerin ihre Fahrt fort. Die Polizei konnte die Frau ermitteln und geht ferner dem Verdacht des unerlaubten Entfernens vom Unfallort nach.

Die komplette Strory lautet also, dass ein Rentner im zarten Alter von 69 Jahren offensichtlich eine Rentnerin im Alter von 72 Jahren übersah bzw. die Rentnerin ohne auf den Straßenverkehr zu achten einfach auf die Straße gefahren ist, das Fahrzeug ihr Fahrrad berührte und sie nach einem Sturz einfach aufstand und weiterfuhr. Aber der große Fehler im Polizeibericht war wohl, dass die Polizei unnötig Fahrt in die Geschichte gebracht hat, als sie die gefährliche Alliteration „rüstige Rentnerin“ verwendete. Das sind einfach Schlagworte, wo Presseleute hellhörig werden…

Die ortsansässige Presse hat sich darauf beschränkt, nur den Polizeibericht wiederzugeben.

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