Spitzenreiter, Spitzenreiter!!!

Hoyerswerda ist mal wieder die deutschlandweite Nummer 1! Und wie üblich geht es leider nicht um kulturelles und soziales Engagement oder die wirklich phantastische Quote der Sporttreibenden in der Stadt, sondern um Demenz. Ein ernstes Thema, aber eben eine Erkrankung, mit der sich potentiell viel Geld verdienen lässt. Da es aber potentiell viele Menschen betrifft, ruft natürlich jede Studie ein großes Medienecho hervor, so wie jetzt eine Studie des Berlin Institut für Bevölkerung und Entwicklung.


Wer sich gern über Google News die aktuellen Nachrichten zu Hoyerswerda anzeigen lässt, wird erstaunt sein, wie viele Nachrichtenportale sich (über Nachrichtenagenturen versorgt) mit Hoyerswerda beschäftigen. Da wird Hoyerswerda als Deutsche Demenzhochburg dargestellt. Und ein Blick in die Originalstudie (hierbei sind die Seiten 26 und 27 interessant) zeigt dann auch die harten Fakten basierend auf Daten aus dem Jahr 2008:

Am östlichsten Zipfel Deutschlands, nahe der Grenze zur Tschechischen Republik, leben heute deutschlandweit die meisten Menschen mit Demenz. Den höchsten Wert (2.190) erreicht das sächsische Hoyerswerda (Einteilung der Kreise vor der Gebietsreform, da die verwendeten Zahlen von 2008 stammen), dicht gefolgt von Görlitz und Dessau. Die Gegend um Hoyerswerda entleerte sich nach der Wende zusehends, weil vor allem junge Menschen fortzogen. Jetzt
schon zählt dort rund ein Drittel der Bevölkerung 65 Jahre oder mehr.

Gut, brechen wir die Zahl mal runter. 2190 Demenzkranke auf 100000 Einwohner macht bei 39.214 Einwohnern im Jahr 2008 also insgesamt 859 Demenzkranke in der Stadt im Jahr 2008. 2,2 % der Hoyerswerdaer leidet bereits jetzt an Demenz. Und der Anteil soll sich bis zum Jahr weiter steigern:

In weiten Gebieten Ostdeutschlands dürfte sich die Anzahl Demenzkranker je 100.000 Einwohner bis zum Jahr 2025 gegenüber heute verdoppeln. Es sind ausgerechnet die Gebiete, wo heute schon relativ wenige Personen im Erwerbsalter als potenzielle Betreuer für Menschen mit Demenz zur Verfügung stehen: Weite Teile Mecklenburg-Vorpommerns, die Randgebiete Brandenburgs sowie Sachsen-Anhalt und Sachsen abseits der größeren Städte. Hoyerswerda hält auch in nächster Zukunft bundesweit den Höchstwert (3.660 Demenzkranke auf 100.000 Einwohner), gefolgt von Dessau und dem thüringischen Landkreis Suhl.

Gut, hier muss man dann aber auch ehrlich sein und sehen, dass die Bevölkerungsprognosen für das Jahr 2025 nur noch 27678 Einwohner in der Stadt sehen. Rechnet man also wieder die 3660 Demenkranken auf 100000 Einwohner, dann ergeben sich also im Jahr 2025 immerhin 1013 Demenzkranke im Stadtbild, 3,7 Prozent der Bevölkerung. Das sind natürlich erschreckende Werte. Andererseits, da die Demenz vor Allem Hochaltrige betrifft, heißt es auch, dass die Lebenserwartung allgemein zunimmt. Es ist also keinesfalls fatalistisch, dass wir so viele Demenzkranke haben (werden), sondern einfach eine Folge unseres guten Lebensstils und der guten Gesundheitsversorgung, dass wir dadurch mehr Hochaltrige haben, die eine hohe Wahrscheinlichkeit haben, an Demenz zu erkranken. Kein Grund, Hoyerswerda jetzt also Stadt des Grauens oder Stadt der Rentnerschwemme abzustempeln.

Doch Demenz ist eben auch ein gutes Geschäft, jetzt schon und dank der „rosigen“ Aussichten auch in Zukunft. Und auch, wenn man nicht von Demenz betroffen ist, ist man ein gutes Opfer guter Kunde, denn auch die Demenzvorsorge kann richtig ins Geld gehen. Und weil es um viel Geld geht, muss man auch bei solchen Studien vorsichtig sein, die besonders große Medienverbreitung bekommen, ohne dass sich ein erfahrener Journalist kritisch mit dem Inhalt auseinandersetzt. So bietet sich zum Beispiel ein Ansatz beim Berlin Institut selbst. Es wird nach Eigenauskunft ausschließlich durch private Spender und Stifter unterstützt, bei der Gründung aber nur durch die Falk- und Marlene-Reichenbach-Stiftung. Und auch bereits veröffentlichte Studien in der Vergangenheit wirkten etwas sehr plakativ. So wurde schon 2006 eine Studie zur bösen Demographie (die ja auch für die Demenzerkrankungen verantwortlich sein soll) veröffentlicht, die Kritik einstecken musste. Und nun wieder eine ähnlich gelagerte Studie. Andererseits wurde die Studie durch die anerkannte Robert-Bosch-Stiftung unterstützt, die sich schon seit vielen Jahren Projekte zur Demenz mit viel Geld unterstützt, wie zum Beispiel: Aktion Demenz – gemeinsam für ein besseres Leben mit Demenz, Internationales Studien- und Fortbildungsprogramm Demenz, Menschen mit Demenz in der Kommune.

Wahrscheinlich ist also die Studie im Großen und Ganzen richtig, nur das Marketing rund um die Ergebnisse ist zumindest fragwürdig. Wichtig ist aber, dass vor allem die Gemeinden die richtige Vorsorge betreiben.

Dabei wird schon jetzt in Hoyerswerda viel getan. So bietet der Sportclub Hoyerswerda zum Beispiel mit der Abteilung Gesundheitssport eine eigene „Rentnersektion“ an, bei denen Sport für Ältere angeboten wird. Offensichtlich kommt dieses Angebot auch gut an, immerhin sind über ein Viertel der knapp 2000 Mitglieder in dieser Abteilung aktiv. So soll auch im Hoyerswerdaer Klinikum (Lausitzer Seenland Klinikum) ab 2012 eine Geriatrie errichtet und 2013 eröffnet werden. Die Anfänge sind also gemacht. Und vielleicht wird ja Hoyerswerda bei der gezielten und kostengünstigen Demenzvorsorge Spitzenreiter sein?

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