Die Leipziger TV- und Filmproduktionsfirma neoproductions hat im vergangenen Jahr eine brisante Dokumentation im Auftrag des MDR produziert. Ausgestrahlt wurde sie am 3. Dezember in der ARD zur wohl beliebtesten Fernsehzeit: um 23:30 Uhr unter dem reißerischen Titel „Tests und Tote“. Und was diese Dokumentation zu berichten wusste, hat viele ehemalige DDR-Bürger wohl in ihren Grundfesten erschüttert. Die DDR ließ an ihren Bürgern im großen Stil Arzneimitteltests von vornehmlich westdeutschen Pharmakonzernen durchführen. Als Gegenleistung erhielt das DDR-Gesundheitswesen die dringend benötigten medizinischen Geräte, Medikamente, Fachbücher und Westgeld. Doch diese Tests bargen auch Gefahren, es gab sogar Tote!Auch im damaligen Kreiskrankenhaus Hoyerswerda sollen solche klinischen Tests durchgeführt worden sein.
Auf der Internetseite des MDR, der diese Dokumentation beauftragt hatte, sind auch weiterführende Informationen verfügbar. Unter anderem zeigte eine Fotogalerie Originaldokumente. Eines dieser Dokumente ist ein Besprechungsprotokoll der Hoechst AG vom 6. März 1989. Es dokumentiert, welche Studien in der DDR durchgeführt werden und den jeweiligen Stand. Unter der Nummer HOE/498/2/MN/201/HT wird auf eine Studie hingewiesen, die noch im ersten Halbjahr 1989 abgeschlossen werden sollte. Das wurden wohl bereits 12 weitere Patienten der Studie zugeführt. Weitere 36 Patienten sollten durch ein Zentrum in XXXXXweyda dazu kommen. Der Name der Stadt ist durch das Bundesarchiv, das dieses Dokument im Rahmen der Recherchen freigegeben hatte, verfremdet worden. Daneben steht jedoch handschriftlich vermerkt: „Hoyerswerda … “ Als Gegenleistung gab es neben 200.000 DM (West) für die BIEG (Berliner Import & Export GmbH – zum Konsortium der KoKo gehörendes Unternehmen, mit dem Westgeld für die DDR generiert werden sollte) auch einen Fotokopierer und RIA-ANP-Kits (Testmaterial zur Blutdruckregulation). Wurde das Leben von Patienten also wegen einem Fotokopierer gefähredet?
Offensichtlich bezieht sich also dieses Protokoll auf Medikamentenversuche im Kreiskrankenhaus Hoyerswerda für die Firma Hoechst.
Mehr Informationen, nämlich wie viele Medikamententests vorgenommen wurden, wie viele Patienten betroffen waren, wollten wir vom heutigen Lausitzer Seenland Klinikum Hoyerswerda erhalten. Doch die Antwort von Pressesprecherin Stefanie Jürß ist wortkarg:
Auch wir haben nur aus den Medien von diesen Geschehnissen vor fast 30 Jahren in der früheren DDR erfahren, die auch uns sehr betroffen machen. Wir gehen davon aus, dass aufgrund der Tragweite die Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen in Kürze aufnehmen wird. Selbstverständlich werden wir mit den Ermittlungsbehörden sehr eng kooperieren. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass wir diesen Ermittlungen nicht vorgreifen dürfen.
Neben der Betroffenheit gibt es also kein Abwiegeln. Offensichtlich existieren zu den damaligen Vorgängen im heutigen Klinikum noch ausreichende Unterlagen. Denn man möchte ja mit den Ermittlungsbehörden kooperieren. Dass man aber solchen Ermittlungen durch Veröffentlichung der eigenen Informationen nicht vorgreifen darf, ist, gelinde gesagt, Unsinn. Selbstverständlich darf das Klinikum zu jedem Zeitpunkt seine Informationen veröffentlichen. Nein, es muss diese Informationen (es waren nur grobe Informationen erfragt, kein Detailwissen!) der Öffentlichkeit zugänglich machen. Denn noch ist nicht sicher, ob überhaupt staatsanwaltschaftliche Ermittlungen aufgenommen werden zu den Vorfällen aus den Achtziger Jahren. Denn natürlich werden die meisten Fälle so oder so bereits verjährt sein, denn außer bei besonders schweren Verbrechen wie Mord, Völkermord und anderen Straftaten tritt die Verjährung bereits nach mindestens 20 Jahren ein. Und wenn es eben keine juristische Konsequenz geben kann, wird es nicht einmal ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren geben. Das heißt also verkürzt gesagt, dass das Klinikum demzufolge keine Informationen herausgeben möchte und dass damit viele ehemalige Patienten auch Jahrzehnte nach den Versuchen an ihnen auch heute immer noch keine Gewissheit bekommen werden.
In den vergangenen Wochen haben wir einige Gespräche mit möglicherweise betroffenen Patienten geführt. Die meisten von ihnen wurden ab 1985/86 im Kreiskrankenhaus behandelt. Manchen wurde seitens der behandelnden Ärzte ein neues Wundermittel angepriesen, um z.B. Allergien zu bekämpfen. Oft kam es schon kurz nach der Medikamentengabe als Tablette oder durch Injektion zu ersten Nebenwirkungen, die vom Personal klein geredet wurden. Die meisten Patienten leiden bis heute noch unter den möglichen Folgen. Doch leider ließ sich bei keinem der Betroffenen für uns der Nachweis erbringen, dass tatsächlich Medikamentenstudien an ihren Leiden Schuld sind. Eine schriftliche Zustimmung für die Tests hatte keiner unserer Gesprächspartner gegeben haben wollen. Hoyerswerda lebt! verzichtet daher auf die Veröffentlichung der Gespräche, da die Vorwürfe nicht nachgewiesen werden können.
Es ist also nicht eindeutig belegbar, dass tatsächlich Medikamentenstudien in Hoyerswerda durchgeführt wurden. Allein die Tatsache, dass es offensichtlich aufgrund der Devisenknappheit DDR-weit flächendeckend Medikamententests gegeben hat, ist allerdings spätestens seit 1991 bekannt. Schon damals enthüllte das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ unter der Überschrift „Das ist Russisches Roulett“ die skandalösen Zustände im Gesundheitssystem. Demzufolge galt damals folgendes:
Es gab kaum eine Klinik des Arbeiter-und-Mauer-Staates, die nicht im Bayer-Auftrag an ihren Patienten herumdokterte.
Demzufolge ist eine so große und wichtige Klinik, wie das Bezirkskrankenhaus Hoyerswerda sehr sicher ebenfalls eine solche „Versuchsanstalt“ für die Pharmakonzerne gewesen. Zumal die Stellungnahme der heutigen Klinikleitung ja deutlich werden lässt, dass man sich offenbar auch Kenntnis von solchen Versuchen in Hoyerswerda hat. Mehr Aufklärung tut Not und würde den von den Folgeschäden Betroffenen vielleicht helfen, einen Weg zu finden, ihre Leiden zu lindern.